Freitag, 9. Oktober 2009

Um 1:00 Uhr morgens werden wir geweckt, es ist sternenklar, ein traumhafter Morgen, es gibt keinen Grund, den Pisco nicht zu besteigen! Sogar heute morgen geniessen wir den Kaffee und die Brötli mit Margarine. Etwas später als geplant, um 2:15 Uhr marschieren wir im Licht der Stirnlampen los. Der Einstieg ist schwierig, wir überklettern grosse Steine, dazwischen liegt viel Geröll, Martin und ich wollen aufgeben, aber Ueli überredet uns, weiter zu gehen.

Endlich kommen wir am Gletscher an, montieren mit Hilfe der Bergführer unsere Steigeisen und binden uns an, die Knoten werden beruhigenderweise von den einheimischen Helfern gebunden. Martin, Christoph und ich ziehen mit dem einheimischen Bergführer Wilder an der Spitze der vier Seilschaften los.

Das erste Stück ist unheimlich steil, mir erscheint es fast senkrecht, aber wir schaffen es. Nachher ist es etwas flacher. Aber wir brauchen viel Kraft, die Luft ist dünn, die Beine sind schwer, wir kämpfen uns Schritt für Schritt vorwärts, immer brav hinter Wilder. Manchmal schweift mein Blick nach rechts oder links, dort ist der Abgrund, aber wir sind angeseilt, Angst habe ich nicht. Der Morgen dämmert, am Horizont erscheint ein heller Streifen.

Bald schon werden die Berge von der Sonne angestrahlt, eine bizarre Eiswelt öffnet sich vor uns, wir überqueren vorsichtig Eisbrücken, die Sonne strahlt uns an, wir montieren unsere Gletscherbrillen.

Weit vorne ragt der Nevado Pisco empor, mir erscheint der Weg endlos, ich glaube noch nicht daran, dass ich es schaffe. Auch die anderen Gruppen scheinen Mühe zu haben, Silvia hustet stark und Philippe schmerzen die Knie. Im einigermassen ebenen Gelände bleiben wir stehen, um etwas zu trinken. Jetzt kommt der Berg doch näher und in mir keimt der Gedanke, dass ich es jetzt schaffen will, wenn ich schon so weit gekommen bin. Ein paar Amerikaner kommen uns entgegen, es sei nicht mehr weit, rufen sie uns zu.

Ueli will, dass mir Wilder den Rucksack abnimmt, er tut es, aber es sind nur noch ein paar Schritte, wir sind jetzt direkt vor dem letzten Aufstieg. Wir deponieren unser Gepäck, nehmen nur noch die Kamera mit. Wilder steigt auf und fixiert ein Seil. Ich bin die erste und schaffe mich, teils mithilfe des Pickels, teils von Wilder gezogen, den letzten Hang hinauf. Plötzlich bin ich auf dem Gipfel des 5752m hohen Nevado Pisco. Vor Erschöpfung lege ich mich zuerst kurz auf den Boden, es ist 8:30 Uhr. Die Aussicht ist traumhaft, unfassbar, der Moment ist überwältigend, auch Christoph und Martin erscheinen an der Kante, wir haben es geschafft und gratulieren uns zu diesem tollen Erfolg.

Ein bisschen stolz können wir Berg-Laien sein, denn ganz so einfach war es nicht. Nach und nach sind alle zehn Schweizer oben. Wir schiessen Fotos und filmen, Viktor hat ein Bier dabei und eine Fahne von Egg, seinem Wohnort, die er stolz schwenkt.

Die Sicht war traumhaft, aber urplötzlich steigt Nebel auf und verhüllt die umliegenden Gipfel.

Nun, wir müssen so oder so an die Rückkehr denken, das erste Stück werden wir abgeseilt, ich wieder als erste.

Bei den Rucksäcken angekommen essen und trinken wir etwas, damit wir den Abstieg schaffen. Ich führe die Gruppe an, immer schön der Spur nach. Uelis Gruppe überholt uns bald, wir seien zu langsam, der Schnee werde zu weich. Er hat recht, das letzte Stück ist mühsam, wir sinken tief ein. Wegen Christophs Rückenschmerzen und weil Martin viermal das Steigeisen verliert, bleiben wir öfters stehen, was unser Tempo noch mehr verlangsamt.

Aber schliesslich kommen auch wir, nach dem letzten steilen Stück, gut am Ende des Gletschers an. Jetzt nur noch der abschüssige Weg über die Moräne, das ich mit einem glimpflich abgelaufenen Sturz auch noch schaffe. Um 12:00 Uhr sind wir unten. Es gibt Tee und Snacks, dann packen wir alles zusammen und gehen kurz vor 14:00 Uhr in Richtung Base Camp, wieder denselben steinigen Weg zurück. Endlich kurz nach 15:00 Uhr haben wir die heutige lange Etappe geschafft. Die Zelte stehen bereits, wir richten uns ein und essen das verspätete Mittagessen, Kartoffeln mit einer rassigen Sauce.

Bis zum Nachtessen legen wir uns ins Zelt und schlummern schon bald ein, es war ein harter Tag. Regentropfen trommeln aufs Zelt, aber jetzt ist das egal. Abends gibt es Poulet mit Reis und nachher ein komisches Dessert, das schmeckt wie warme Konfitüre.

Der Regen hat sich verzogen, es ist wieder sternenklar. Ein paar unserer Gruppe bleiben noch im Essenszelt sitzen, irgend jemand hat noch Whisky aufgetrieben. Wir gehen schlafen, denn wir sind todmüde, ein ereignisreicher Tag geht zu Ende.